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Was ist heute konservativ? Bericht von der Veranstaltung

was ist konservativ
„Es braucht realistische Vorstellung von Veränderungen“

Auch Grünen-Wähler pflegen einen konservativen Lebensstil. Davon ist der Soziologe Armin Nassehi überzeugt. Zusammen mit CSU-Generalsekretär Markus Blume diskutierte er in der Evangelischen Stadtakademie über die Frage, was heute konservativ ist.

München (epd). Der Konservatismus ist laut dem Soziologen Armin Nassehi heute wieder attraktiv aufgrund des „Interesses an kalkulierbaren Lebenswelten“. Es gebe die „realistische Vorstellung, dass Menschen schwächer sind, als wir erwarten“, sagte Nassehi bei einer Podiumsdiskussion in München mit dem CSU-Generalsekretär Markus Blume. In der Evangelischen Stadtakademie München diskutierten sie am Donnerstagabend über die Frage, was heute konservativ sei.

Die Lebenspraxis sei strukturell oft „träger, als wir denken“, sagte Nassehi. Darum brauche man auch eine „realistische Vorstellung davon, was an Gesellschaft veränderbar ist“. Der Konservatismus sei nicht wegen des Traditionalistischen attraktiv, sagte der 59-jährige Soziologieprofessor von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität.

„Wertkonservatismus – das sind wir. Strukturkonservatismus lehnen wir ab.“

Blume unterschied für die CSU: „Wertkonservatismus – das sind wir. Strukturkonservatismus lehnen wir ab.“ Seine Partei vertrete nicht die Einstellung, dass es eine unveränderliche feste Ordnung gebe; sie halte an Werten fest, sehe aber die Zukunft gestaltungsoffen. Der 44-jährige Protestant, der der evangelischen Landessynode angehört, hat als Vorsitzender der CSU-Grundsatzkommission 2016 das Grundsatzprogramm „Die Ordnung“ vorgelegt.

Auch Grünen-Wähler pflegen heute Nassehi zufolge häufig einen konservativen Lebensstil mit hoher Bildung und kontinuierlichen, urbanen Lebensverläufen. Auch diese Milieus seien oft verunsichert, wenn sich etwas verändere. Die Zeit großer Stabilität, als 90 Prozent der Deutschen „zwei Parteien und zwei Kirchen angehörten“, sei vorbei. Damals sei zwischen diesen klar zuordenbaren Milieus ein „zivilisierter Konflikt“ ausgetragen worden, heute könnten die Bürger „solche Gesamtpakete gar nicht mehr denken“.

Auch Blume spürt eine „neue Unversöhnlichkeit“ in der politischen Debatte, etwa angesichts der Wut der Landwirte über die „Bauernmilliarde“. Ihm fehle zunehmend Kompromiss- und Konsensbereitschaft, sagte er. Gegen die AfD hingegen hülfen nur klare Abgrenzung und zugleich politische Angebote, die das Bedürfnis vieler Bürger „nach Sicherheit und Ordnung“ bedienten.

Gesellschaftliche Prozesse sind oft langsamer als unser Denken

Der Konservatismus glaube, dass dies eine Zeit großer Disruptionen sei, sagte Nassehi – dabei seien nach sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen solche Umwälzungen vor allem in Deutschland überhaupt nicht stark ausgeprägt. Einen Beleg dafür, „dass gesellschaftliche Prozesse oft langsamer sind als unser Denken“, sah er in einem Widerspruch in der Flüchtlingspolitik: Bei der Versorgung habe die Staatsregierung sehr viel richtig gemacht – „aber gleichzeitig hat sie geredet, als wäre der Flüchtlingszuzug eine Katastrophe“.

Blume zufolge sind die Themen Migration und Klimaschutz „geeignet, unsere Gesellschaft dauerhaft zu spalten“; die CSU wolle die Richtungen zusammenbringen und auch angesichts epochaler Veränderungen wie der Digitalisierung Volkspartei bleiben. Er wolle „keine Abstriche“ beim Klimaschutz, sagte Blume, aber „auch nicht schon an der Startlinie die Hälfte der Bevölkerung zurücklassen“, die mit einer ökologischen Veränderung ihrer Lebensweise Probleme hätten.

Wie schwierig es heute sei, konservative Einstellungen inhaltlich festzumachen, zeigte Blume am Beispiel Verkehr. In der Mobilität gelte es, viele Technologien zu fördern und nicht nur die klassische Automobilindustrie, sagte er. In der Familienpolitik wolle die CSU weiterhin die Ehe, auch die gleichgeschlechtliche, „als Verantwortungsgemeinschaft“ fördern. Generell wolle sie den Menschen „nicht vorschreiben, wie sie zu leben haben“.

Auf die Frage, wie sehr der einzelne Bürger angesichts des Klimawandels seinen Lebensstil anpassen sollte, sagte Nassehi: „Historisch gab es noch nie eine Situation, wo sich Menschen massenweise aufgrund von Einsicht verändert haben.“ Gesellschaftliche Veränderungen hingen immer mit neuen Technologien zusammen, Lebenswelten änderten sich vielmehr von selbst.

Christine Ulrich (epd)

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