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Mehr als zwei Narrative – eine kultur-politische Reise nach Israel und Palästina

Mehr als zwei

Seit 8. April sind die Evangelische Stadtakademie München und die Petra-Kelly-Stiftung zum zweiten Mal unterwegs in Israel und Palästina. Wer in beide Gesellschaften reist, hört schnell, dass es zwei Narrative der dortigen (Konflikt)Geschichte gibt: das israelische und das palästinensische. Es gibt aber mehr – nur nicht im Mainstream. Wir besuchen Kunst- und Kulturinitiativen, die versuchen, die kreativen Kräfte zu stärken, und Initiativen, die inmitten der Konfliktgeschichte noch zusammenarbeiten.

Dabei ist deutlich, dass die meisten palästinensischen Partner inzwischen der Kampagne „Boykott, Divestment, Sanctions“ folgen. Sie erhoffen sich von einer Zusammenarbeit mit israelischen Institutionen nichts mehr. Ihr Empfinden ist, dass alle Verhandlungen seit Oslo dazu geführt haben, dass Israel seine Position im Westjordanland ausgebaut hat. Der Siedlungsbau ist das deutlichste Kennzeichen. Deshalb versuchen Kulturschaffende in Palästina, die eigene kulturelle Stimme auszubilden. Kindern eine Ausdrucksmöglichkeit durch Musik, Theater, Tanz oder Sport zu geben. In gemeinsamen Initaitiven mit israelischen Kindern würden sich die palästinensischen wegen der geringeren Mittel als unterlegen empfinden. Daher geht es darum, ihr Selbstwertgefühl und ihre Stimme zu stärken. Die Qattan-Stiftung und die Said-Barenboim-Stiftung in Ramallah oder die Diyar Academy in Bethlehem arbeiten auf diese Weise mit Kindern und Jugendlichen. Ein Musikinstrument bis zur professionellen Reife spielen lernen, im Theater oder in Literatur die eigenen Geschichten zu erzählen, Modern Dance für Mädchen und Frauen und Schwimmunterricht und Fussball für Mädchen und Jungen zusammen in einer tendenziell konservativen Gesellschaft. Solche Initiativen machen das Leben lebenswert – auch unter den restingierten Bedingungen eines besetzten Landes. Sie sind ein Mittel gegen Frustration und Verzweiflung, die sich wie jüngst in den Messerattacken von Jugendlichen auf israelische Soldaten und Zivlisten ausdrücken.

Im übrigen sind durch die Grenz- und Kontrollregime in der Westbank Treffen so gut wie nicht mehr möglich. Israelis dürfen laut israelischem Gesetz nicht in Städte unter palästinensischer Kontrolle, Palästinenser haben – außer als Arbeitnehmer – keinen Zugang mehr nach Israel und Jerusalem. Das ist ein großes Problem, weil sich die Menschen nicht mehr direkt begegnen. Israelische Kinder sehen in Palästinensern vorwiegend potentielle Attentäter, palästinensische Kinder lernen Israelis so gut wie ausschließlich als Soldaten kennen.

Es gibt sie aber immer noch, diejenigen, die übergreifend arbeiten – trotz aller Restriktionen. „Combatants for Peace“ gehören dazu, ehemalige israelische Soldaten und ehemalige palästinensische Kämpfer, die meist längere Zeit auch in israelischen Gefängnissen waren. Sulaiman Khatib ist einer von ihnen. Heute arbeitet er mit Israelis zusammen für eine gewaltfreie Lösung. Den 10. Mai haben sie als gemeinsamen Gedenktag der Opfer beider Seiten neu geschaffen. – Und ohne eine gegenseitige Anerkennung der Leidgeschichten beider Seiten, ohne eine Empathie in die andere Seite und eine Selbstkritik an der eigenen Seite wird es keine Lösung geben. Denn beide Gesellschaften sind traumatisiert.

Je länger wir hier sind, desto deutlicher wird, dass Lösungen aktuell nicht in Sicht sind. Was hier möglich ist, ist die Zivilgesellschaften beider Seiten zu stärken. Menschen auf beiden Seiten tun das mit viel Zivilcourage, denn in ihren eigenen Gesellschaften werden sie leicht als Verräter oder Kollaborateure mit der anderen Seite gesehen. „Breaking the Silence“ etwa, ehemalige israelische Soldaten, die öffentlich machen, was sie im Militärdienst erlebt haben. Oder „Ir Amim“ (Stadt der Völker), eine israelische NGO, die Führungen macht, um den Fortschritt und die Bedeutung der Siedlungen im Großraum Jerusalem  ebenso zu zeigen wie die ungleiche infrastrukturelle Ausstattung jüdischer und arabischer Viertel in der Stadt.

Auf arabischer Seite zeigen Palästinenser ähnlichen Mut, wenn sie – wie in der NGO „Friends of Roots“ – ausgerechnet mit Siedlern zusammenarbeiten. Dass sogar das möglich ist, wenn ein gegenseitiges Verstehen gesucht wird, erstaunt und verwirrt. Ihr Motto ist ein Wortspiel, das zugleich ein völlig verändertes Denken signalisiert: Nicht das exklusive „Das Land gehört uns“, sondern das inklusive „Wir (beide) gehören zum diesem Land“ prägt ihre Haltung.

Noch ist unsere Reise nicht zuende. In Tel Aviv werden wir nicht nur die israelische Schriftstellerin Lizzie Doron treffen, sondern auch den Haaretz-Journalisten Gideon Levy und den deutschen Botschafter. Was Deutschlands – und also unsere –  Rolle und unser Beitrag zur Zukunft Israels und Palästinas sein können, wird die abschließende Frage sein, bevor wir am 20. April zurück fliegen.

 

 

 

 

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