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Bleibt unsere Stromversorgung sicher? Zusammenfassung der Veranstaltung am 19.7.22

strom rot

Drohen uns in den nächsten Jahren Stromausfälle und Energieknappheit? Nicht erst aufgrund der aktuellen politischen Entwicklungen stellt sich diese Frage. Welche Rolle in diesem Zusammenhang erneuerbare Energien spielen oder welche Risiken mit einem digitalisierten und dezentralen Stromnetz verbunden sind, darüber sprachen Expertinnen und Experten bei acatech am Dienstag am 19. Juli. Die Ausgabe fand diesmal wieder gemeinsam mit der Evangelischen Stadtakademie München statt.

acatech Präsident Jan Wörner stellte in seiner Einführung die besonderen Herausforderungen der zukünftigen Energieversorgung dar. Angesichts zahlreicher geopolitischer Unabwägbarkeiten dürfe das Thema Nachhaltigkeit nicht vernachlässigt werden. Vielmehr sei Nachhaltigkeit neben Sicherheit und Resilienz eine von drei zentralen Säulen, um strategische Souveränität zu erreichen – auch bei der Energieversorgung.

Thomas Zeilinger, als Beauftragter der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für Ethik im Dialog mit Technologie und Naturwissenschaft ebenfalls Kooperationspartner von acatech am Dienstag, führte durch den Abend und wies zunächst darauf hin, dass eine resiliente Energieversorgung nicht nur aktuell ein Problem sei, sondern auch in Zukunft. Diese Herausforderungen bringe beispielsweise die fortschreitende Digitalisierung der Energiesysteme mit sich.

In seinem Impuls-Vortrag blickte Christoph Mayer vom OFFIS – Institut für Informatik auf die Resilienz erneuerbarer und digitaler Energiesysteme. Seine Expertise floss bereits in eine entsprechende Publikation des Akademienprojekts Energiesysteme der Zukunft (ESYS) ein. Am Beispiel eines Hackerangriffs auf die Stromversorgung in der Ukraine im Dezember 2015 zeigte er die möglichen Auswirkungen infolge empfindlicher Störungen der Energieversorgung und verdeutlichte die Wichtigkeit einer sicheren und stabilen Energieversorgung. Diese Absicherung gegen neue Bedrohungen basiere auf zwei entscheidenden Säulen. Zum einen ist eine robuste Versorgung auf Redundanz angewiesen. Anschaulich bedeutet dies, dass Orte nicht von einer einzigen Leitung abhängig sein dürfen und mehr Energie zur Verfügung steht, als tatsächlich gebraucht wird. Zum anderen fügen sich mehrere Sicherungselemente zu einem resilienten Netz zusammen. Dabei schützen diese vor Überraschungen und fangen Störungen ohne langanhaltenden und großen Schaden ab.

Der Ausbau erneuerbarer Energien stellt neue Anforderungen an die Gewährleistung der Versorgungssicherheit. Statt der bisher sehr konzentrierten Herstellung großer Mengen an Strom in großen Kraftwerken erfolgt die Herstellung von erneuerbarer Energie meist in kleineren Anlagen, die dezentral ihre Leistung zur Verfügung stellen. Die Steuerung und Koordination einer Vielzahl an Anlagen erfordere deren Vernetzung und eine stärkere Digitalisierung, so Christoph Mayer. Einen weiteren Einfluss auf die neuen Herausforderungen des Energiemarktes und einer sicheren Stromversorgung stelle die wachsende Verbreitung des ‚Internet der Dinge‘ dar. In der Gesamtheit erwartet Christoph Mayer, dass die kommenden Entwicklungen zu volatilen Energiemärkten führen, deren konkrete Ausgestaltung jetzt beginnen müsse. Er schloss mit dem Fazit, dass eine massive Digitalisierung der Energieversorgung als zentrales Element der Energiewende unverzichtbar sei, aber von zukunftsorientierten Entscheidungen der Politik begleitet werden müsse, um sich so frühzeitig an neue Trends und Entwicklungen anzupassen.

Dirk Uwe Sauer vom Lehrstuhl für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik der RWTH Aachen, Mitglied im acatech Präsidium und Vorsitzender des Direktoriums im Akademienprojekt ESYS ging in seinem Vortrag auf die mittelfristige Perspektive der Energieversorgung bis 2026 bzw. 2030 ein. Im Zuge dessen veranschaulichte er die Auswirkungen eines Ausfalls russischer Gaslieferungen auf die Entwicklung der Strom- und Gaspreise in Deutschland und Europa. Unter seiner Mitarbeit wurde soeben das Impulspapier „Welche Auswirkungen hat der Ukrainekrieg auf die Energiepreise und Versorgungssicherheit in Europa?“ vorgestellt, dessen zentralen Ergebnisse er kurz darstellte. Auch wenn die Preisberechnungen auf Prognosen basierten, so sei zusammenfassend zu sagen, dass sich ein steigender Preis nur durch einen raschen Ausbau der erneuerbaren Energien und einem gleichzeitigen Ersatz von Gas durch Strom dämpfen lasse. Dieser Wandel müsse dabei von einer Steigerung der Energieeffizienz und einer deutlichen Reduktion des Verbrauchs begleitet werden.

Als weiteren Parameter, der für eine Versorgungssicherheit mit Strom innerhalb Deutschlands entscheidend sei, sprach Dirk Uwe Sauer über die vorhandenen Verteilnetze. Der Bezug von Energie sei europaweit gekoppelt, weshalb Deutschland nicht isoliert betrachtet werden könne. Eine Möglichkeit, die Versorgungslage in Bezug auf Gas zu verbessern und den Transport von den erweiterten LNG-Terminals zu den Verbrauchern zu erreichen, sei das Umdrehen der Gas-Flussrichtung im Pipelinenetz, der Einbau eines so genannten ‚Reverse-Flow‘. Dabei komme es darauf an, die bisherige Transportrichtung des Gases innerhalb der Pipelines – von Ost nach West bzw. von Nord nach Süd – umkehren zu können, damit neue Verteilungswege innerhalb der bestehenden Infrastruktur entstehen können. Nichtsdestotrotz bestünde die Gefahr einer Versorgungslücke in Bezug auf Gas, da ein physischer Engpass in der zur Verfügung stehenden Menge an Gas nicht einmal durch die Akzeptanz höherer Kosten ausgleichbar sei, so Dirk Uwe Sauer weiter. Hierbei betonte er erneut die überragende Wichtigkeit von Maßnahmen zur Energieeinsparung. Ein sozialer Ausgleich der steigenden Kosten ließe sich sinnvoller nachträglich durch sozialpolitische Maßnahmen erreichen, denn die Wirkung eines steigenden Preises sei zunächst zwingend erforderlich, damit die erforderlichen umfangreichen Einsparmaßnahmen tatsächlich von den Verbraucherinnen und Verbrauchern und den Unternehmen ergriffen würden.

Eine in der Öffentlichkeit aktuell oft beschriebene Alternative zur Wärmeerzeugung durch Gas ist der Einsatz von Radiatoren und Elektroheizungen, auf deren negative Auswirkung auf die Stabilität des deutschen Stromnetzes Dirk Uwe Sauer im zweiten Teil seines Vortrags einging. Das Stromnetz in Deutschland sei im europäischen Vergleich sehr ausfallsicher, mit nur 15 Minuten Störung pro Jahr. Eine Sicherheit, die mit hohen Kosten aufrechterhalten wird und sich als ein Teilparameter auf die vergleichsweisen hohen Stromkosten in Deutschland auswirkt. Der gleichzeitige Betrieb einer Vielzahl von Radiatoren könne das Ortsnetz an seine Belastungsgrenze bringen und zu Stromausfällen führen, so Dirk Uwe Sauer. Dies könne selbst dann eintreten, wenn die Kraftwerkskapazität für die Versorgung mit Strom noch nicht erschöpft ist.

Helge-Uve Braun, Technischer Geschäftsführer der Stadtwerke München (SWM), zeigte am Beispiel der Stadt München anschaulich, wie herausfordernd es ist, wenn kurzfristig neue Kohle beschafft werden muss, um Gaskraftwerke zu ersetzten. Auch er verwies nochmal auf das Gefahrenpotenzial, das mit der gleichzeitigen Nutzung von Radiatoren verbunden ist. Dennoch sieht er die Stadtwerke München (SWM) auf den nächsten Winter sowie auf mögliche nationale Blackout-Szenarien gut vorbereitet – man sei in der Lage, im Rahmen einer Inselversorgung 50 Prozent des städtischen Normal-Verbrauchs aus eigenen Kraftwerken bereitzustellen – eine Menge an Energie, die ausreicht, um Krankenhäuser, zentrale Infrastruktureinrichtungen und Haushalte entsprechend versorgen zu können.

Berit Erlach vom Akademienprojekt ESYS richtete in ihrem Beitrag den Blick von der kurzfristigen Diskussion über die Herausforderungen des nächsten Winters hin zur langfristigen Perspektive und den anstehenden Herausforderungen, um den Klimawandel zu bekämpfen. Hierbei betonte sie ebenfalls, wie schwerwiegend die Einsparung von Strom und Gas möglich sei – und wie notwendig es sei, erneuerbare Energien beschleunigt auszubauen, um so dem durch Elektromobilität und Elektrifizierung in Industrie und Wärmesektor stetig steigenden Strombedarf nachzukommen.

In der abschließenden Diskussion stellten alle Beteiligten die Aufrechterhaltung einer stabilen Energieversorgung in den Vordergrund. Sie betonten dabei, dass die Versorgung mit Wärme dabei nicht in Vergessenheit geraten dürfe. Hierzu erläuterte Helge-Uve Braun die Projekte der SWM zur Erweiterung der Versorgung der Stadt mittels Geothermie-Anlagen. Die Sicherheit der Stromversorgung vor unterschiedlichen Gefährdungen (Cyber-Angriffe / terroristische Angriffe) zu gewährleisten, erfordere große Anstrengungen. Die SWM sehen sich hier aufgrund ihrer Größe gut vorbereitet, jedoch gab Helge-Uve Braun zu bedenken, dass die aktuellen Entwicklungen besonders große Herausforderungen für die vielen kleinen Stadtwerke und Netzbetreiber mit sich brächten, da diese ebenfalls umfangreiche Schutzmaßnahmen treffen müssten. Unterstützt werden können diese Maßnahmen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit durch ein Zusammenspiel von dezentralen, inselfähigen Mikronetzen auf der einen Seite, aber auch einer deutschland- und europaweit gekoppelten Stromversorgung auf der anderen Seite.

Bei acatech am Dienstag zeigte sich einmal mehr, dass die zahlreichen Herausforderungen der Zukunft nicht die eine, simple Lösung haben, sondern ein Dialog und Austausch aller Beteiligter aus Wissenschaft und Wirtschaft sowie Politik wichtig ist, um auf der einen Seite gesellschaftliches Risikobewusstsein zu schulen und auf der anderen Innovationsfreude zu fördern.

Der Beitrag ist im Original erschienen auf der Seite der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften.

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